
Biken wie Gott in Frankreich – eMTB Tour zum Col du Vallon
Die Westalpen versprühen den Charme von Abenteuer. Die zahlreichen Dreitausender sind ein Sehnsuchtsort für Alpinisten aller Art. Auch für uns eMountainbiker.
Wir sind ein Stück weit dem Fernwanderweg GR5 gefolgt, um dann zum Sattel des Col du Vallon abzubiegen. Unsere Erfahrungen lest ihr hier.
Raus aus dem Sattel – hoch zum Sattel
Knapp 200 Höhenmeter liegen noch vor uns. Eigentlich nicht der Rede wert. Doch wo laut Karte ein Weg sein müsste, blicken wir auf ein Meer aus Geröll. Ein Erdrutsch hat den Pfad in die Tiefe gerissen. Ab hier wird es also doch noch heftig. Wir müssen die eBikes schultern. Ein Wermutstropfen. Denn bis hier war die Tour Uphill-Flow in seiner reinsten Form. Keine Schotterpisten, sondern Trails. Immer berghoch, aber mit der perfekten Steigung. Doch noch ist Schluss mit Flow. Wir müssen da hoch. Hinter uns braut sich ein Gewitter zusammen. Auf der anderen Seite des Sattels blitzt die Sonne unter den tiefen, schwarzen Wolken hindurch.
Auf der anderen Seite liegt das Vallée de la Clarée. Noch sind wir im Vallée Étroite, dem oberen Teil des Valle Stretta. Das Tal liegt genau auf der Grenze zwischen Piemont und Hautes-Alpes – also Italien und Frankreich. Der Sattel vor uns: der Col du Vallon. Auf etwa 2.650 Metern Höhe liegt der Übergang in einem Felsenmeer. Der Kontrast könnte nicht extremer sein: vor uns karge Felsen, hinter uns eine idyllische Hochebene von atemberaubender Schönheit. Über diese Hochebene sind wir gekommen. Hier verläuft auch auf Teilen der Fernwanderweg GR5. Fernwanderer, die den GR5 machen, übernachten weiter unten im Refugio I Re Magi.

Ein Kraftort tief in den Bergen
Zeitsprung: drei Stunden bevor wir den Erdrutsch unterhalb des Col du Vallon erreichen werden, kommen wir am Refugio I Re Magi an. Es ist früher Morgen. Die Sonne taucht die Berggipfel über uns in ein sanftes Gold. Wir gesellen uns zu den Wanderern und geniessen den ersten Kaffee. Die Ruhe am Rifugio ist magisch. Wer einmal einen Fernwanderweg gegangen ist, kennt diese besondere Stimmung am Morgen: Die Ruhe und Andacht vor dem grossen Marsch, der täglich auf einen wartet. Es ist eine Ruhe mit unglaublicher Kraft. Diese Kraft spürte ich bis tief in die Muskeln, auch wenn ich dieses Mal nicht zu Fuss, sondern mit dem eMountainbike unterwegs bin.

Arschbacken zusammenkneifen
Zurück zum Erdrutsch: Jetzt ist es genau diese Kraft, die ich brauche, um die letzten 200 Höhenmeter zum Sattel des Col du Vallon zu erklimmen. Meine Weggefährten sind still geworden. Filmer Tim dokumentiert unter Einsatz aller Kräfte, wie wir unsere Bikes das abgerutschte Schotterfeld hinaufwuchten. Tina marschiert voraus. Mit dem leichten Light-eMTB auf ihren Schultern hat sie noch die besten Karten von uns allen.


Dann erreichen wir den Sattel und können uns kaum auf den Füssen halten. Heftige Orkanböen blasen uns förmlich zurück ins Vallée Étroite. Der Wind fühlt sich an wie ein Grenzbeamter, der am Tor steht und sagt: „Hier ist Schluss für euch.“ Doch so schnell geben wir uns nicht geschlagen. Denn der Wind, der hier talaufwärts bläst, verheisst Gutes. Er hält die Gewitterwolken hinter uns in Schach. Bis hier – und nicht weiter. Vor uns erstrahlt das Tal in saftigem Grün, genährt von den hellen Strahlen der Sonne.

Ein Supertrail, der das Prädikat auch verdient
Die Strapazen haben sich gelohnt. Von hier oben können wir kilometerweit blicken – auch auf den Trail, der uns von hier oben bis nach Névache ins Vallée de la Clarée führen wird. Die Abfahrt beginnt vielversprechend: Vom Sattel aus führt der Trail auf einen schmalen Grat und dann eine steile Hangkante hinab auf die Almwiesen. Dann wird der Trail erst einmal flowig. Über sanfte Wellen gleitet der Weg durch die Hügellandschaft einer Hochebene – flankiert von den schroffen Felswänden der umliegenden Berge.

Für einen kurzen Moment vermisse ich mein Kyano HC Enduro-Bike mit seinen üppigen Federwegsreserven. Aufgrund der Länge der Tour hatte ich mich für mein All-Mountain entschieden – das Tanay HC. Das Tanay fährt sich aufgrund der komfortablen, aber effizienten Sitzposition auf auch langen Touren sehr kraftschonend. Vor allem aber ist das Bike eine wahre Kletterziege. Der steile Sitzwinkel positioniert den Fahrer in kernigen Uphills zentral über dem Bike, sodass das Vorderrad souverän den Kontakt zum Boden behält. Doch jetzt, wo ich die Abfahrt vor mir sehe, wandern meine Gedanken zu meinem Kyano. Na ja – geht auch so. Und wie es geht. Trotz moderater 140 mm Federweg gleite ich mit dem Tanay wie auf einem fliegenden Teppich über den Trail. Mein Grinsen wächst mir über die Wangen bis zu den Ohren.

Es dauert nicht lang, da erinnert uns der Trail wieder daran, dass wir immer noch im Hochgebirge sind. Schlagartig ändert der Weg sein Gesicht: Er wird immer steiler, verblockter und verlangt ein geschicktes Händchen, um das Bike hier souverän durch die Felsen zu manövrieren.
Mit dieser Abwechslung zieht sich der Trail ins Tal. Und zieht sich. Und zieht sich. Die Abfahrt vom Col du Vallon ist eine Perle für Trail-Liebhaber. 7 km Single-Trail-Vergnügen auf rund 990 Tiefenmetern. Dieser S3-Trail bietet den ganzen Blumenstrauss an Trail-Bedingungen. Kurz oberhalb des historischen Örtchens Névache spuckt uns der Trail dann auf der Talstrasse aus.

Die Belohnung nach der Belohnung
Die Abfahrt hat den Preis des mühsamen Aufstiegs allemal wettgemacht. Doch die zweite Belohnung wartet bereits: Zeit für eine Pizza. Die Abendsonne taucht das Vallée de la Clarée in ein surreales gelbes Licht. Es ist warm, schön und wir wollen einfach nur hierbleiben. In Névache finden wir eine Pizzeria. Hier lassen wir den Tag ausklingen – zufrieden, ausgelaugt und voller Glück.

Mein Fazit
Genau so verstehe ich eMountainbiken. Der Aufstieg im Flow, die letzten Meter im Kopf-Kampf gegen die Schwerkraft, das Gefühl sich die Abfahrt verdient zu haben und ein Trail, der dich in den Tunnel schickt.
Für eMTB-Fahrer mit Ambition ist diese Routenkombination – von Bardonecchia hinüber ins Vallée de la Clarée – ein echtes Highlight. Versorgungslage, Ausblicke, Trails: Alles stimmt. Nur: Respekt vor dem Terrain, gute Vorbereitung und das richtige Bike gehen voraus.
Infos zur EMTB-Tour am Col du Vallon
Region: Westalpen, Grenzgebiet IT/FRAU – Piemont & Hautes-Alpes
Ausgangspunkt: Bardonecchia (ca. 1.300 m ü. NN)
Ziel-Pass: Col du Vallon (2.650 m ü. NN)
Rückfahrt nach Bardonecchia: durch das Vallée de la Clarée
Höhenmeter: 1.674 hm
Tiefenmeter: 1.675 hm
Distanz: 27,3 km
Schwierigkeitsgrad: durchschnittlich S3
Bikes im Einsatz: CILO Tanay HC mit 700-Wh-Akku
Tipp: Früh starten, im Sommer hohes Gewitterrisiko, kräftiger Wind am Sattel kann schnell auskühlen (winddichte Jacke im Rucksack haben)